Delir-Management im Krankenhaus – sinnvoll auf vielen Ebenen

Bericht zur Online-Veranstaltung "Demenz- und Delir-Management im Krankenhaus – Herausforderungen und Chancen"

Wichtig ist weniger, welche Demenz- und Delir-Screeningverfahren bei Risikopatient:innen durchgeführt werden, sondern dass dies geschieht. Nur so kann medizinisches Personal die passende Behandlung für Menschen mit Demenz und Delir anbieten. Mediziner:innen stellten diesen und weitere Punkte aus der "Empfehlung zum Delir- und Demenz-Screening in Krankenhäusern" bei einer Online-Infoveranstaltung vor, an der über 200 Interessierte aus verschiedenen Berufsgruppen teilnahmen.

Einerseits erhöht eine Demenz ebenso wie andere kognitive Störungen das Risiko für Delirien, während andererseits ein Delir einen starken Risikofaktor für eine Erstmanifestation oder ein rascheres Voranschreiten einer Demenz darstellt. Folgerichtig kann konsequentes Screening der beiden, häufig in engem Zusammenhang stehenden Krankheitsbilder und daraus folgende Maßnahmen den Verlauf von Krankenhausaufenthalten positiv beeinflussen – Patient:innen erleiden seltener Komplikationen, zeigen weniger herausforderndes Verhalten und erleichtern somit auch den Pflegealltag in Krankenhäusern.

Deshalb haben fünf medizinische Fachgesellschaften

im Rahmen der Nationalen Demenzstrategie (Maßnahme 3.3.3) ein Empfehlungspapier für Krankenhäuser vorgelegt, in dem sie Strategien zur Verbesserung der Früherkennung von kognitiven Störungen, Demenzen und Delirien und zur Senkung assoziierter Komplikationsraten vorstellen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) war in die Entwicklung einbezogen und unterstützt die Empfehlungen.

Empfehlungen für das Delir- und Demenz-Screening sowie Delir-Management im Krankenhaus
Mit den Empfehlungen legen fünf Fachgesellschaften die Ergebnisse umfassender Beratungen einer interdisziplinären Arbeitsgruppe vor, in denen zum einen die Wichtigkeit von Demenz- und Delir-Screening im Krankenhaus und zum anderen konkrete Wege zur Umsetzung dargestellt werden. Die Empfehlungen zeigen außerdem Charakteristika, Vor- und Nachteile sowie den Zeitaufwand der unterschiedlichen Test-Verfahren, die wiederum direkt in den Empfehlungen verlinkt und größtenteils kostenlos verfügbar sind.

Auf der Informationsveranstaltung "Demenz- und Delir-Management im Krankenhaus – Herausforderungen und Chancen" am 23. Januar 2024 stellten Vertreter:innen der Fachgesellschaften wichtige Eckpunkte der Empfehlungen vor. Über 200 Interessierte verfolgten die Vorträge online und beteiligten sich via Chat-Funktion an der abschließenden Diskussion.

Prof. Dr. med. Walter Hewer vom Klinikum Christophsbad Göppingen betonte zur Einführung in die Veranstaltung, warum das Thema Demenz und Delir in Krankenhäusern ein wichtiges Thema sein sollte: beide Krankheiten stehen in enger Wechselwirkung miteinander und verschlechtern die Prognose der primär zur Aufnahme führenden Erkrankungen in vielen Fällen. Deshalb sollte der Fokus auf dem frühzeitigen Erkennen von Risikokonstellationen, wie kognitiven Störungen, Demenz und Delir liegen, wobei gleichzeitig die praktische Umsetzbarkeit im Krankenhaus im Rahmen interprofessioneller Zusammenarbeit gewährleistet werden müsse.

Präsentationsfolien zur Einführung von Prof. Walter Hewer

Dr. med. Katharina Geschke von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ging anschließend konkret darauf ein, warum, bei wem und wie Screenings von kognitiven Störungen und Delir durchgeführt werden müssten. Ein großer Teil der Krankenhaus-Patient:innen ist über 65 Jahre alt, aufgrund des demografischen Wandels sei die Tendenz von Demenzen und Delirien im Krankenhaus damit steigend, denn schon heute haben ca. 20% der Patient:innen über 65 Jahre ein demenzielles Syndrom und ca. 30% ein Delir. Sie empfahl unter anderem ein routinemäßiges Screening auf kognitive Störungen aller Patient:innen ab einer bestimmten Altersgrenze, z.B. ab 65 Jahren, möglichst bei Aufnahme oder auch vorstationär. Diejenigen, bei denen eine kognitive Störung bzw. Demenz vorliegt, sollten im Verlauf des stationären Aufenthaltes regelmäßig – im besten Falle täglich – auf das Vorliegen eines Delirs gescreent werden. Das Vorgehen beim Screening und die daraus resultierenden Maßnahmen müssen die zum Teil unterschiedlichen Rahmenbedingungen in verschiedenen Bereichen berücksichtigen (z. B. Notaufnahme, internistische/chirurgische Stationen). Dabei verwies Dr. Geschke auf konkrete Test-Verfahren, von denen viele nur einen geringen Zeitaufwand erfordern.

Präsentationsfolien zum Vortrag von Dr. med. Katharina Geschke

Prof. Dr. med. Christine von Arnim von der Klinik für Geriatrie der Universitätsmedizin Göttingen stellte ein proaktives Konzept zum präventiven und therapeutischen Delir-Management vor, das auf vier Säulen beruht:

  • Risikoerfassung
  • Prophylaxe
  • Screening zur Früherkennung
  • Frühbehandlung

Individualisiert umzusetzende, sogenannte Multikomponentenprogramme, zielen auf die Wiederherstellung bzw. Stabilisierung des psychischen und körperlichen Gleichgewichts der Krankenhaus-Patient:innen ab. Dabei sollte vor allem auf nicht-medikamentöse Konzepte gesetzt werden, konkret auf ein delirsensibles Behandlungsumfeld, die Qualifizierung des Personals im Umgang mit Delir und unmittelbar patientenbezogene Interventionen, wozu die Erfassung von Risikofaktoren sowie Maßnahmen zur individualisierten Risikoreduktion gehören. Die Wirksamkeit dieser Konzepte konnte in einer Reihe von Studien, unter anderem von Deeken et. al. bestätigt werden.

Präsentationsfolien zum Vortrag von Prof. Dr.med. Christine von Arnim

Wie die Umsetzung der Empfehlungen zum Screening kognitiver Störungen ganz konkret ausgestaltet werden kann, zeigte Dr. Jana Karin Köbcke vom Fachbereich Geriatrie & Rehabilitation am Beispiel des Bonifatius Hospitals Lingen, in dem sie Teil des Kognitionsteams ist. Eine Erfahrung aus der dortigen Implementierung: Prozesse müssen zum Haus passen, individuell und schrittweise geplant und umgesetzt werden. Dabei helfen zeitliche und inhaltliche Zielsetzungen. Wichtig ist vor allem, dass Risikopatient:innen überhaupt kontinuierlich auf das Vorliegen einer kognitiven Störung, Demenz und Delir untersucht werden. Wie dies geschieht, muss in den Häusern vor Ort interdisziplinär und interprofessionell erarbeitet werden. Auf den ersten Blick ist damit sowohl ein personeller als auch ein finanzieller Mehraufwand verbunden. Gelingt ein kontinuierliches Demenz- und Delirscreening jedoch, profitieren davon sowohl die Patient:innen als auch die Mitarbeitenden, was sowohl den personellen Aufwand als auch die Kosten wieder minimieren kann.

Präsentationsfolien zum Vortrag von Dr. med. Jana Karin Köbcke

In der abschließenden Diskussion gingen die Referent:innen auf verschiedene Fragen, die die Teilnehmenden per Chat stellen konnten, ein. Im Folgenden haben wir einige Fragen und Antworten zusammengestellt. Das vollständige Diskussions-Protokoll steht als PDF-Dokument bereit.


Allgemeines

Frage/Kommentare: Warum hat keine pflegewissenschaftliche Gesellschaft in der Arbeitsgruppe mitgewirkt? Dies vor allem auch vor dem Hintergrund, dass die Berufsgruppe der Pflegenden die größte ist und den kontinuierlichsten Kontakt zu den zu pflegenden Menschen im Krankenhaus hat. / Das nächste Mal die Pflegewissenschaft mitzunehmen wäre super.

Antwort: Der Hinweis erscheint auch aus Sicht der Arbeitsgruppe sehr berechtigt und sollte bei zukünftigen Aktivitäten auf dem Gebiet berücksichtigt werden. Wir erhielten als Arbeitsgruppe sozusagen "von oben" (s. Maßnahme 3.3.3 der Nationalen Demenzstrategie) einen entsprechenden Auftrag. Es ist zu beachten, dass in der Nationalen Demenzstrategie sehr viele Maßnahmen zu bearbeiten waren – auch oft unter Beteiligung von Pflegeverbänden – und somit aus Kapazitätsgründen nicht jede Fachgruppe überall dort mitwirken konnte, wo dies inhaltlich Sinn gemacht hätte.


Testungen/Screening – allgemeine Aspekte

Frage: Wer sollte das Screening durchführen und gibt es eine Angabe zur Arbeitszeit, die das kostet? Könnte das nicht insbesondere im Nacht- oder Wochenenddienst schwierig werden? Bereits 10 bis15 Minuten können einen sehr hohen Zeitaufwand bedeuten.

Antwort: Üblicherweise wird das Screening durch patientennah arbeitende Berufsgruppen durchgeführt (insb. Pflege, Medizin). Die Auswahl der im Empfehlungspapier genannten Verfahren erfolgte wesentlich auch unter dem Aspekt der Zeitökonomie (siehe die Angaben zur Durchführungsdauer im Anhang der Empfehlungen). Viele der (Kurz)Tests sind in weniger als 5 bis10 Min. durchführbar. Dass es dennoch z. B. in der Notaufnahme oder im Nacht-/ Wochenenddienst zu Engpässen kommen kann, liegt auf der Hand, gilt aber ebenso für andere medizinische Maßnahmen. Wie damit umzugehen ist, sollte in einer klinikintern festgelegten Screeningstrategie definiert werden. Der Auftrag an die Arbeitsgruppe im Rahmen der Nationalen Demenzstrategie war, Empfehlungen zur Best-Practice auf dem Stand aktueller wissenschaftlicher Erkenntnis abzugeben, und zwar unter Berücksichtigung ihrer Umsetzbarkeit unter den Routinebedingungen von Krankenhäusern. Die tatsächliche Umsetzung, Integration in bestehende Prozesse usw. muss im Lokalen überlegt werden. Es sollte in der Summe nicht mehr Aufwand sein.


Frage: Findet das Screening auch in Pflegeheimen statt?

Antwort: In einigen Kontexten (Pflegeheimträger, Regionen etc.) existieren Vorgaben zu Erhebungsinstrumenten. Unseres Wissens gehört ein Delir-Screening üblicherweise nicht dazu. Gleichwohl könnte es bei teilweise im zweistelligen Prozentbereich liegenden Häufigkeiten von Delirien auch in Heimen Sinn machen, unter bestimmten Voraussetzungen ein Screening durchzuführen. Das vorgestellte Empfehlungspapier äußert sich allerdings dazu nicht, da der Auftrag eindeutig auf Krankenhäuser bezogen war.


Frage: Wie würden Sie ein Delir von einer Psychose unterscheiden? Ist ein Delir-Screening spezifisch genug, um das abzugrenzen?

Antwort: Der Begriff "Psychose" wird nicht einheitlich verwendet. Meist wird darunter eine wahnhafte und/oder halluzinatorische Symptomatik, z. B. im Rahmen einer Schizophrenie, verstanden. Ähnliche Symptome können bekanntlich auch beim Delir auftreten. Das wesentliche Merkmal, das dabei ein Delir kennzeichnet, ist die Störung von Aufmerksamkeit bzw. Bewusstsein, die in dieser Form bei schizophrenen und verwandten Psychosen nicht besteht. Im Einzelfall kann die Differenzialdiagnose schwierig sein, das Delir-Screening ist in solchen Fällen allein nicht spezifisch genug, deshalb sollte die Anforderung eines psychiatrischen Konsils erwogen werden.


Testungen/Screening – spezielle Aspekte

Frage: MMST und MoCA sind meines Wissens nach Tests zur Erkennung einer Demenz und keine Kurztests, ein MMST Test dauert je nach Pat. mindestens 10 Minuten + Dokumentation.

Antwort: Es trifft zu, dass MMST und MoCA kurze Tests zum Screening auf Demenz bzw. Demenz und die sog. leichte kognitive Störung sind. Das Erkennen einer Demenz bzw. leichten kognitiven Störung ist Teil der Gesamtstrategie und dementsprechend auch Gegenstand der Empfehlungen.

Richtig ist auch, dass der Zeitaufwand für diese beiden Tests nicht ganz unbeträchtlich ist, v. a. bei Hinzukommen komplizierender Faktoren (z. B. Schwerhörigkeit). Andererseits sind diese Verfahren in vielen Kliniken gut etabliert, z. B. in Form eines MMST-Screenings bei Aufnahme. Aus Sicht der Arbeitsgruppe gilt hier, dass vor Ort etablierte Verfahren und Strategien, wo immer möglich und sinnvoll, genutzt werden sollten. Wichtig ist, dass das Screening überhaupt geschieht, wie es implementiert wird, sollte unter Berücksichtigung lokaler Gegebenheiten entschieden werden. Im Anhang der Empfehlungen sind alternativ anwendbare Kurztests zur Erkennung einer kognitiven Störung aufgeführt (z. B. 6-CIT, SIS, Mini-Cog, "Mainzer Modell").


Frage: Ist ICDSC für Delir-Screening nicht mehr empfohlen?

Antwort: Die ICDSC (Intensive Care Delirium Screening Checklist) wird weiterhin empfohlen, so z. B. in der Delir-Leitlinie für die Intensivmedizin (DAS-Leitlinie). Sie wurde, wie der Name bereits sagt, speziell für diesen Bereich entwickelt. Unsere Empfehlungen beziehen sich jedoch nicht auf die Intensivmedizin, deshalb wurde die ICDSC an dieser Stelle nicht erwähnt.


Delir-Management

Frage: Wie können wir die Verschreibung von Psychopharmaka reduzieren? Welche Nebenwirkungen sind bekannt bei der langfristigen Vergabe? Anmerkung: es wurde auch die Anwendung von Psychopharmaka in Heimen angesprochen.

Antwort: Grundsätzlich wird eine Delirbehandlung durch Kausaltherapie der ursächlichen bzw. auslösenden somatischen Faktoren sowie nichtpharmakologische Maßnahmen angestrebt. Wenn Symptome wie massive psychomotorische Unruhe oder Wahn darauf nicht ansprechen, ist eine symptomorientierte Anwendung von Antipsychotika indiziert. Dies geschieht nach der Devise "so niedrig dosiert und so kurz wie möglich", aber auch: "so viel wie nötig". Durch ein solches Vorgehen kann das Risiko unerwünschter Wirkungen deutlich reduziert werden, gleichwohl muss auf diese sorgfältig geachtet werden. Eine länger- oder gar langfristige Gabe von Antipsychotika ist beim Delir nicht indiziert.

Abweichend davon erfordern Entzugsdelirien bei Alkohol- bzw. Sedativaabhängigkeit eine frühzeitige (oder noch besser vorbeugende) Anwendung von Benzodiazepinen mit einem Ausschleichen im Verlauf der Behandlung.

Der Umgang mit Psychopharmaka in Pflegeheimen ist zweifellos ein medizinisch und gesundheitspolitisch bedeutsames Thema, konnte an dieser Stelle aber nicht vertieft werden.


Frage: Ist die Nebendiagnose Delir abrechnungstechnisch relevant?

Antwort: Sie wird in den meisten Konstellationen im Grouper relevant. Andererseits sind Patientinnen und Patienten, die ein Delir-Risiko haben schon so krank, dass nicht mehr Erlöse generiert werden. Das viel wichtigere Problem ist: die Delir-Verhinderung kann nicht als z. B. OPS kodiert werden – es wäre ja sinnvoll, nicht den Erlös mit einem Delir zu steigern, sondern die Verhinderung seines Auftretens zu belohnen.


Im Falle offen gebliebener Fragen bei den Teilnehmer:innen können diese gerne an wididgppnde gerichtet werden.