Initiative "DeMigranz" - Zeitreise durch die Vielfalt kultursensibler Demenzangebote

Unter dem Motto "Demenz geht uns alle an, egal aus welcher Kultur" versammelten sich über 90 Teilnehmer:innen zur Online-Abschlussveranstaltung, um die Fortschritte und Erkenntnisse der bundesweiten Initiative DeMigranz zu würdigen. Die Veranstaltung spannte einen Bogen von den Top Ten guter Praxisbeispiele, über das Leben mit Demenz bis zur Wirksamkeit in der Öffentlichkeit.

Mit einer digitalen Abschlussveranstaltung haben die Robert Bosch Stiftung (RBS) und Demenz Support Stuttgart die Erfolge und Erfahrungen der Initiative "DeMigranz" Revue passieren lassen. Zusammen mit über 90 Teilnehmenden führten Mitarbeitende der Demenz Support Stuttgart durch ein vielfältiges Programm.

Kerstin Schmenger von der RBS stimmte auf den Tag ein. Sie hob die Relevanz von "DeMigranz" als nachhaltigen Beitrag gegen die Stigmatisierung von Menschen mit Demenz hervor und betonte, wie sehr die Kultur die Lebensumstände und Bedürfnisse der Betroffenen prägt. Die Möglichkeit, die eigene Kultur leben zu können, biete Sicherheit und sei entscheidend für das Wohlbefinden von Menschen mit Demenz. Wichtig sei außerdem, gewonnene Erkenntnisse zu teilen, um Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen bestmöglich zu unterstützen. Einen besonderen Dank sprach sie den Kolleginnen von Demenz Support Stuttgart aus, deren Engagement maßgeblich für den Erfolg des Projekts ist.

Christina Kuhn von Demenz Support Stuttgart warf einen Blick zurück auf die "Anfänge" der Arbeit mit und für ältere Menschen mit Migrationsgeschichte. Bereits seit den 1990er Jahren fehlten muttersprachliche Informationen, die Zusammenarbeit zwischen Altenhilfe und Migrations-Sozialarbeit sowie kultursensible Mitarbeitermischungen. Zudem müssten Selbsthilfekompetenzen innerhalb der Familien gestärkt werden. Erst in den 2000er Jahren wurde Demenz und Migration als eigenes Thema behandelt, wobei der Informationstransfer und die Überwindung von Wissens- und Verständigungsbarrieren im Mittelpunkt standen. Wichtig sei außerdem, so viele Menschen wie möglich einzubeziehen und Demenz und Migration als Querschnittsthema zu denken, welches auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft auch nach Ende des Projektes nicht an Bedeutung verliert.

Im anschließenden Gespräch mit Yasemin Aicher, die im Alter von 44 Jahren mit frontotemporaler Demenz diagnostiziert wurde, und ihrem Ehemann gab es wichtige Impulse aus Sicht einer Betroffenen. Aicher, die eine Betroffenengruppe für junge betroffene Menschen auf Facebook gründete, betonte, wie wichtig es sei, offen über die Krankheit zu sprechen. Sie merkte schnell, dass auch Menschen aus der türkischsprachigen Bevölkerung angesprochen werden müssen und beschrieb deshalb z. B. die Gruppe im Titel zweisprachig. Obwohl Demenz ihren Alltag einschränkt, lernte sie ihr Leben durch die Krankheit neu schätzen. Sie ermutigte dazu, Demenz zu akzeptieren, um besser damit umgehen zu können und gab hilfreiche Empfehlungen, darunter Zusammenhalt, Offenheit und Gleichbehandlung aller Menschen. Denn, so sagt sie, Demenz geht uns alle an – egal welchen Alters und welcher Kultur.

Aus einer Fülle an Projekten wurden zehn Highlights ausgewählt und vorgestellt:

  • Bundesweite und bundeslandbezogene Austauschtreffen, die sich als ausgesprochen fruchtbar erwiesen, zumal Wissen ausgetauscht und bereits erarbeitete Ergebnisse allen zur Verfügung gestellt wurden
  • Die Alzheimer Gesellschaft Baden-Württemberg hat den Erklärfilm "Durch den Nebel" produziert, der das Leben einer an Demenz Erkrankten zeigt. Es gibt eine deutsche, russische, türkische und japanische Version.
  • Für die Gesundheitslotsen wurde das Fortbildungsmodul Demenz erstellt und erprobt.
  • Die interkulturelle Woche mit diversitätssensiblen Angeboten.
  • Der Erklärfilm "Hilfe für Ihr Helfen" für pflegende Angehörige in deutscher, türkischer und russischer Sprache.
  • Die Website Demenz und Migration mit vielfältigem Material zu Demenz in inzwischen acht Sprachen, darunter, Englisch, Türkisch, Polnisch und Vietnamesisch.
  • Eine Netzwerkkarte, auf Menschen mit Demenz und Migrationsgeschichte und ihre Angehörigen unterschiedlichste Angebote in ganz Deutschland finden können. Akteure haben hier über ein Datenblatt nach wie vor die Möglichkeit neue Projekte zu melden.
  • Die Neuübersetzung der BAGSO-Broschüre "Das richtige Pflegeheim finden", die nun auch in den Sprachen Russisch und Türkisch verfügbar ist.
  • Auf der Website der Demenz Support Stuttgart stehen Informationsmaterialien unter anderem zur Pflegeversicherung in 13 verschiedenen Sprachen zum Download bereit, die einen niedrigschwelligen Zugang ermöglichen.

Zwei vorgestellte Projekte werden aktuell finalisiert: Zum einen ein Medienpaket, dessen Kern eine verfilmte türkischsprachige Theateraufführung zum Thema Demenz ist. Damit soll in Form verschiedener Veranstaltungsformate Interesse am Thema Demenz geweckt werden. Das Medienpaket erscheint dreisprachig: türkisch, englisch und deutsch.
Zum anderen die regionale Website zu Demenz von Rheinland-Pfalz, auf der ein digitaler Werkzeugkoffer für die Arbeit mit und für Menschen mit Demenz und Migrationsgeschichte zusammengestellt wird. Das Leitmotiv bestand darin, vorhandene kultursensible Ansätze zu adaptieren, für eine breitere Zielgruppe zugänglich zu machen und Informationsmaterialien in verschiedenen Sprachen zur Verfügung zu stellen.

Ein Großteil der Veranstaltung war dem Denkraum-Format gewidmet, in dem sich die Teilnehmenden interaktiv zu fünf unterschiedlichen Themen austauschen konnten:

  • Mit Migrantenorganisationen Zukunft gestalten
  • Pflegende Angehörige stärken
  • Perspektiven von Betroffenen wahrnehmen 
  • Gesundheitssystem diversitätssensibilisieren 
  • Öffentlichkeitsarbeit gezielt ausbauen

Zu diesen Themen formulierten die Teilnehmenden in drei Runden viele Erkenntnisse, Wünsche und Ideen aber auch Hindernisse. Themenübergreifend wurde beispielsweise betont, dass Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen sowie deren Bedürfnisse im Vordergrund aller Projekte stehen sollten. Um möglichst viele Menschen zu erreichen, sei die Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams, deren Mitglieder im besten Fall verschiedene kulturelle Hintergründe mitbringen, sinnvoll. Mehrsprachigkeit ist für die zielgruppengerechte Ansprache dabei besonders förderlich. Oft hilft auch ein Blick über den Tellerrand – welche Strukturen existieren bereits, was hat gut funktioniert, wer hat bereits ein "Standing" auf dem Gebiet? An dieses Wissen anzuknüpfen erleichtert die Arbeit häufig. Und immer wieder: Wertschätzung! Wertschätzung der Anregungen von Menschen mit Demenz, Wertschätzung und Begegnung auf Augenhöhe mit pflegenden Angehörigen und Wertschätzung von ehrenamtlicher Arbeit. Auch eine entsprechende langfristig planbare Finanzierung drückt diese Wertschätzung aus.

Die Präsentationen mit Links zu allen Projekten sowie die aufgearbeiteten Erkenntnisse aus dem Austausch werden auf der Seite von Demenz Support Stuttgart zugänglich gemacht, sodass Interessierte von ihnen profitieren und Ideen für die eigene Arbeit mit Menschen mit Demenz und Migrationsgeschichte ableiten können. Die konkret zu den einzelnen Themen aufgearbeiteten Erkenntnisse aus dem Austausch werden den Teilnehmenden zur Verfügung gestellt. Alle, die nicht teilnehmen konnten, können gerne die Projektmitarbeiterinnen für die Ergebnisse anfragen.  

Die Initiative DeMigranz

Die bundesweite Initiative "Demenz und Migration" kurz "DeMigranz" ist seit 2017 aktiv beim Ausbau der kultursensiblen Beratung von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen. Zentrale Aufgabe des Projekts ist es, eine bundesweite Initiative anzustoßen, die den Aufbau von kultursensiblen Angeboten in den einzelnen Bundesländern vorantreibt. Denn das Thema Demenz gewinnt bei älteren Menschen mit Migrationshintergrund und deren Familien zunehmend an Bedeutung. Im Verlauf einer Demenz verlieren die Betroffenen häufig ihre als Fremdsprache erlernten Deutschkenntnisse. Die daraus entstehenden Verständigungsprobleme sowie die Tabuisierung der Erkrankung in den Familien können zu einer geringen Inanspruchnahme von Unterstützungsangeboten führen. Rückzug und Isolation sind die Folge. Weder das deutsche Sozial- und Gesundheitssystem noch die betroffenen Familien sind auf diese Herausforderung vorbereitet. Die Initiative "DeMigranz" will dazu beitragen, dass in Deutschland lebende Betroffene und ihre Familien besser über das Thema Demenz informiert sind, Zugang zu Unterstützungsangeboten finden und diese nutzen. Aus diesem Grund werden Netzwerke aufgebaut, die unterschiedliche Akteure aus verschiedenen Organisationen in Kontakt bringen. Im Rahmen von Austauschtreffen begegnen sich Vertreter:innen von Migrantenorganisationen und Akteure:innen aus dem Gesundheitssystem, Ministerien und Kommunen. Es wird durch die RBS gefördert, Projektträger ist die Demenz Support Stuttgart. Die Initiative ist Teil des Ziels 2.4 "Kultursensible Beratungsangebote für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen aus- und aufbauen" der Nationalen Demenzstrategie.