Das Risiko an einer Demenz zu erkranken sowie die Prävalenz an Demenz erkrankter Menschen steigt mit dem Alter an, Studien zu Menschen im hohen und höchsten Alter sind bisher jedoch rar. Die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) geförderte Studie „Hohes Alter in Deutschland (D80+)“ schließt diese Lücke. Die repräsentative Querschnittsbefragung wird vom Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA) und dem Cologne Center of Ethics, Rights, Economics and Social Siences of Health (ceres) durchgeführt. Der siebte Kurzbericht zur Studie legt den Fokus auf „Auswirkungen kognitiver Einschränkungen (Demenz) auf Lebensqualität und Versorgung“. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern, der Öffentlichkeit sowie Forscherinnen und Forschern zur Verfügung zu stellen, ist in der Maßnahme 4.2.7 in der Nationalen Demenzstrategie vereinbart.
Wie lief die Studie ab?
Zwischen November 2020 und April 2021 wurden mehr als 10.000 zufällig ausgewählte Personen ab 80 Jahren in ganz Deutschland schriftlich befragt. Von diesen nahmen über 3.000 Befragte im Dezember 2021 an zusätzlichen Telefoninterviews teil. War es Hochaltrigen aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich, selbst an der Studie teilzunehmen, konnten Stellvertreter oder Stellvertreterinnen das telefonische Interview durchführen.
Erfasst wurden Metadaten wie Alter, Geschlecht, Bildung, Einkommen und Wohnort. Ein kognitives Screening im Rahmen der Telefoninterviews ermöglichte eine Klassifizierung der Teilnehmenden in kognitiv normales Altern, leichte kognitive Beeinträchtigung sowie demenzerkrankt. Abgefragt wurden vier Indikatoren von Lebensqualität: Wohlbefinden, Depressivität, Lebenszufriedenheit und Autonomie.
Welche zentralen Ergebnisse in Bezug auf Menschen mit Demenz liefert D80+?
Unter den Teilnehmenden erwies das Screening bei 18% eine Demenzerkrankung und bei 25% milde kognitive Beeinträchtigungen. Insbesondere in Bezug auf die Wohn- und Versorgungssituation von Menschen mit Demenz liefert die D80+-Studie neue Erkenntnisse. 70% von ihnen leben zu Hause, davon gaben wiederum 44% an, allein zu leben. Zusätzlich zeigte sich, dass fast 38% der Menschen mit Demenz in Privathaushalten weder von Angehörigen gepflegt noch durch ambulante Pflegedienste versorgt werden. Dies legt den Schluss nahe, dass Menschen mit Demenz nicht dem weit verbreiteten Bild einer schwer pflegebedürftigen Person entsprechen, sondern insbesondere in den frühen Stadien der Demenz ein unabhängiges und selbstständiges Leben führen können. Mit Fortschreiten der Krankheit wächst jedoch der Unterstützungsbedarf und die Sicherstellung der Versorgung kann kritisch werden.
Unter den betreut wohnenden Menschen mit Demenz leben etwa 19% in vollstationären Pflegeeinrichtungen. Alternative Wohnformen wie Mehrgenerationenhäuser oder Wohnpflegegruppen werden mit ca. 12% eher selten genutzt.
Die Studie zeigt, dass die Zufriedenheit von Menschen mit Demenz davon abhängt, wo sie leben und wie sie betreut werden. In den eigenen vier Wänden weisen sie ein höheres Maß an Wohlbefinden auf, haben weniger Symptome einer Depression und eine höhere Lebenszufriedenheit, zudem erleben sie mehr Autonomie. Vollstationäre Pflegeeinrichtungen als Wohnorte wirken sich negativ auf alle vier abgefragten Indikatoren aus. Ebenso kann festgehalten werden, dass Menschen mit Demenz positive Emotionen erleben, jedoch seltener als Menschen ohne Einschränkung der Kognition.
Auch bekannte Ergebnisse in Bezug auf Demenz konnten durch die „Hohes Alter in Deutschland“-Studie bestätigt werden. Je älter die befragten Menschen waren, desto höher war der Anteil an Menschen mit Demenz – lag er bei den 80- bis 84-Jährigen bei ca. 12%, wiesen unter den Überneunzigjährigen 29% eine Demenz auf. Zudem hat das Bildungsniveau Einfluss auf die Prävalenz einer Demenz: Unter den Teilnehmenden mit niedrigem Bildungsabschluss waren 28% mit Demenz, unter jenen mit hohem Bildungsabschluss 7%.
Welche Empfehlungen lassen sich aus den Studienergebnissen ableiten?
Da ein Großteil der Menschen mit Demenz in der D80+-Studie zuhause lebt und sich dies positiv auf ihr Wohlbefinden auszuwirken scheint, gilt es vor allem einen Verbleib in der vertrauten Wohnumgebung zu ermöglichen. Durch systematische präventive Hausbesuche können insbesondere alleinlebenden Menschen mit Demenz Unterstützungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Die häusliche Pflege sollte durch Unterstützung der pflegenden Angehörigen, die nach wie vor einen Großteil der Pflege von Menschen mit Demenz übernehmen, gestärkt werden.
Auch Bundesseniorenministerin Lisa Paus sieht darin eine wichtige Aufgabe für die aktuelle Legislaturperiode:
"Die Ergebnisse der Studie zeigen, wie wichtig es ist, Menschen mit Demenz so lange wie möglich ein Leben in ihrer vertrauten Wohnumgebung zu ermöglichen. […] Dafür muss die häusliche Pflege gestärkt werden. Neben der professionellen ambulanten Pflege ist dabei ein zentraler Baustein die Unterstützung pflegender Angehöriger."
Zudem kann ein sensibilisiertes Umfeld auch alleinlebenden Menschen mit Demenz helfen, so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden zu leben. In vollstationären Pflegeeinrichtungen sollten Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit Demenz etabliert werden.
Die Ziele der Nationalen Demenzstrategie unterstützen diese Empfehlungen. Durch die vereinbarten Maßnahmen sollen beispielsweise die Beratung von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen verbessert und die Öffentlichkeit für Menschen mit Demenz sensibilisiert werden. Des Weiteren ist die demenzsensible Gestaltung vollstationärer Pflegeeinrichtungen vereinbart, sowie die Entwicklung eines Versorgungspfads für Menschen mit Demenz. Dieser soll dazu beitragen, individuell passende Behandlungsprozesse für Menschen mit Demenz systematisch umzusetzen.
Wie geht es weiter?
Mit dem Kurzbericht „Auswirkungen kognitiver Einschränkungen (Demenz) auf Lebensqualität und Versorgung“ wurden die Erkenntnisse aus der D80+-Studie in Bezug auf Menschen mit Demenz der Fachöffentlichkeit und der breiten Öffentlichkeit präsentiert. Es ergeben sich politische Implikationen. Die Nationale Demenzstrategie kann einen Beitrag leisten, die in der Studie herausgearbeiteten Erkenntnisse zu adressieren.
Weitere Kurzberichte zur D80+-Studie, unter anderem zu den Themen „Wohnumfeld und Alltagskompetenz“ sowie „Zufriedenheit und Wohlbefinden“, werden im weiteren Verlauf des Jahres 2022 erscheinen. Die bisherigen Kurzberichte sind über die Projektseite abrufbar.