Menschen mit Demenz begegnen Kirchengemeinden in vielfältigen Situationen. Sie bleiben mit Gott verbundene Menschen, doch manche vergessen den Termin zum Gottesdienst, andere ziehen sich zurück oder zeigen Verhaltensänderungen, die im Gemeindeleben auffallen. Um hier sensibel und unterstützend zu handeln, braucht es Wissen, Verständnis und konkrete Ideen. Genau hier setzt die Maßnahme 1.6.3 "Strukturen für Alten- und Seniorenseelsorge" an.
Um diese Strukturen auszubauen, erweitern die evangelische und katholische Kirche in Deutschland ihre Seelsorgeangebote für Menschen mit Demenz und deren Angehörige. Ziel ist es, Seelsorger*innen gezielt auf die Begleitung vorzubereiten und kirchliche Angebote stärker mit lokalen Beratungsstrukturen zu vernetzen. Für viele Betroffene und ihre Angehörigen ist Seelsorge eine wichtige Stütze. Sie bietet geistliche Begleitung, Orientierung und Entlastung im Alltag. Durch die Vernetzung mit regionalen Beratungsstellen wird der Zugang zu Unterstützung erleichtert und bestehende Hilfsangebote bekannter gemacht.
Fachtage und Vernetzung
Im Rahmen der genannten Maßnahme fand am 23. Juni 2023 in Hannover der Fachtag "Vergissmeinnicht" des Zentrums für Seelsorge und Beratung und der EKD (Evangelische Kirche in Deutschland) mit dem Ziel statt, kirchliche Demenzsensibilität zu fördern und Möglichkeiten der Teilhabe für Demenzerkrankte zu erweitern. Dabei nahm vor allem der interreligiöse Diskurs einen großen Raum ein. Impulse für das interreligiöse Gespräch gaben Referent*innen verschiedener religiöser Herkunft. In den Vorträgen wurde die ethische Perspektive beleuchtet, da diese in der gesellschaftlichen Diskussion eine große Rolle spielt. In zwei "Fachspaziergängen" zu insgesamt sieben Stationen und Workshops wurde dem Wunsch vieler Teilnehmender nach Orientierungshilfe und praktischen Vorbildern für den Umgang mit Demenzerkrankten in Kirchengemeinden, in Einrichtungen und bei Besuchen, Rechnung getragen. Alle Stationen hatten einen starken Praxisbezug, so zum Beispiel unter der Überschrift "Socken im Kühlschrank? Kindern Demenz erklären".
Ein zweiter bundesweiter Fachtag, der im Rahmen dieser Maßnahme durchgeführt wurde, fand im Oktober 2024 mit rund 65 Teilnehmenden statt. Dort tauschten sie sich zu Themen der Seelsorge für Menschen mit Demenz in Zeiten des Pflegenotstandes aus und sprachen über bewährte Praxisbeispiele und Möglichkeiten der Zusammenarbeit. In Vorträgen ging es um ethische Fragen, um die Bedeutung der Palliativen Geriatrie als ganzheitlichen Ansatz sowie um den besonderen Beitrag der Seelsorge für Betroffene, Angehörige und Pflegekräfte. In Workshops wurden unterschiedliche Perspektiven vertieft: Von neuen Modellen seelsorglicher Begleitung angesichts knapper Ressourcen, über Übungen zur Resilienzstärkung, bis hin zum Umgang mit biographischem Schmerz, spirituellen Bedürfnissen in Pflegeheimen und praktischen Methoden der Seelsorge mit Menschen mit
Demenz. Auch innovative Projekte, wie die Schulung ganzer Heime in Spiritual Care (Professionelle Begleitung von Menschen in existenziellen Situationen, die spirituelle und religiöse Bedürfnisse in die ganzheitliche Betreuung einbezieht. Ziel ist es, Sinn, Halt und Wohlbefinden zu fördern.), wurden vorgestellt.
Die abschließende Podiumsdiskussion machte deutlich, dass es darum geht, Menschen mit Demenz in ihrer Individualität ernst zu nehmen, ihre Teilhabe zu sichern und ihnen mit Offenheit und aufmerksamem Zuhören zu begegnen. Zugleich wurde die Rolle der Kirche betont, sich anwaltschaftlich für ihre Würde einzusetzen.
Neben diesem Austausch setzen sowohl die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Altenarbeit (EAfA) als auch das Bundesforum für katholische Seniorenarbeit (BfKS) auf kontinuierliche Vernetzung.
In einer ökumenischen Gruppe wird jährlich zum Welt-Alzheimertag ein Gottesdienstvorschlag vorbereitet und zur Verfügung gestellt, welcher das Ziel hat, über Demenz zu informieren. Darüber hinaus bietet die Gruppe Bausteine und Vorschläge für demenzsensible Gottesdienste für Menschen mit und ohne Demenz an.
Des Weiteren trifft sich das BfKS einmal jährlich zu einer bundesweiten dreitägigen Konferenz. Auf dieser hat der kollegiale Austausch seinen festen und hochgeschätzten Platz. Die Themen dieser Austauschrunden wechseln je nach Aktualität. Das Thema Demenz ist jedoch immer gesetzt. Darüber hinaus trifft sich die dort eingerichtete AG Demenz dreimal jährlich digital, um aktuelle Projekte zu besprechen und erfolgreiche Ansätze zu sammeln.
Impulse und Materialien für Gemeinden
Gemeinsam entwickeln die Kirchen praxisorientierte Materialien und digitale Angebote, die dazu beitragen, den Herausforderungen von Demenz wirksam zu begegnen und die Teilhabe Betroffener zu fördern. Die Bistümer Limburg und Mainz haben gemeinsam mit der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau eine Demenz-Tool-Box entwickelt, die dabei helfen kann, mehr Teilhabe für Menschen mit Demenz zu ermöglichen. Die Tool Box besteht aus einem Begleitheft und einem Kartenset. Das Begleitheft führt in die Thematik "Demenz" ein und stellt grundlegende Informationen bereit, die einen ersten Einblick in das Krankheitsbild und seine Auswirkungen geben. Zudem werden präventive Maßnahmen genannt, um Demenz begünstigende Faktoren wie Einsamkeit oder übermäßigen Alkoholkonsum zu reduzieren. Das Kartenset besteht aus 20 Themenkarten, auf welchen man praktische Anregungen, Vorschläge zu Veranstaltungsformaten und viele weitere Ideen zum Umgang mit dem Thema findet. Anschaulich wird dies am Beispiel der Themenkarte zur Biographiearbeit, die eine Einführung und Ideen für die Praxis wie gemeinsames Blättern in Fotoalben sowie weiterführende Informationen vorschlägt. Die Tool-Box richtet sich an Pfarreien, Kirchengemeinden, Leitungsgremien, Pastorale Räume, Nachbarschaftsräume sowie Einrichtungen, Organisationen und Verbände und deren Mitarbeiter*innen. Darüber hinaus sollen gleichfalls Ehrenamtliche, Multiplikator*innen, Interessierte und An- und Zugehörige von Betroffenen angesprochen werden. Die Toolbox ist eine Hilfestellung, die einen kreativen Umgang mit dem Thema „Demenz“ ermöglicht und dazu beitragen kann, dass Menschen mit und ohne Demenz am gemeindlichen und gesellschaftlichen Leben teilhaben können.
In Bayern haben die evangelische und katholische Kirche gemeinsam die App "Demenzguide" entwickelt. Sie bietet Tipps für den Alltag mit Menschen mit Demenz, Anregungen für die Pflege zu Hause oder in Einrichtungen und Hilfen zum Umgang mit fortgeschrittener Erkrankung. Angehörige finden darin zudem Ratschläge zur Selbstfürsorge sowie einen verständlichen Überblick über das Krankheitsbild.
Wie es weitergeht
Die AG Demenz des BfKS plant derzeit eine bundesweite Abfrage, um herauszufinden, welche Ansätze zur Gestaltung demenzsensibler Gemeinden sich in den einzelnen Diözesen bereits erfolgreich etabliert haben. Die Ergebnisse sollen anschließend allen Interessierten zur Verfügung stehen, um voneinander zu lernen und die Arbeit vor Ort weiter zu verbessern.
