Covid - Virale Erkrankungen und Demenz
Ein Zusammenhang zwischen Coronavirus-Infektionen, Long-Covid und Demenzerkrankungen beschäftigt viele Forscherinnen und Forscher. Sicher ist, dass kognitive Einschränkungen zu den häufigen Symptomen von Coronavirus-Infektionen zählen. Erkenntnisse zu möglichen Zusammenhängen von Covid und Demenz wurden auf einer Fachveranstaltung am 13. Oktober 2022 zusammengetragen und diskutiert.
Zusätzlich beantwortet Professor Dr. Gabor Petzold vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) im Interview noch einmal Fragen zu den Auswirkungen von Long-Covid auf das Gehirn sowie Gemeinsamkeiten zwischen Covid-, Long- Covid- und Demenz-Symptomatiken:
Kann man sagen, dass es Gemeinsamkeiten zwischen Covid, Long- Covid und Demenz-Symptomatiken gibt?
Prof. Dr. Gabor Petzold, DZNE: Es gibt gewisse Gemeinsamkeiten, insofern als dass Long- Covid oder Post- Covid häufig Symptome verursacht, die mit Aufmerksamkeits-, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen einhergehen. Das betrifft nicht jeden Patienten mit Covid, denn Long-Covid und Post-Covid betreffen nicht jeden Covid-Patienten. Nach derzeitigem Kenntnisstand entwickeln etwa 10% der COVID-Patienten Long-Covid und innerhalb der Long- und Post-COVID-Gruppe gibt es dann nochmal einige, die keine Konzentrations-, Gedächtnis- oder Aufmerksamkeitsstörungen entwickeln. Das sind dann nochmal ca. die Hälfte, oder 40 bis 50 %. Mit anderen Worten: Nicht jeder, der Covid hat, entwickelt Aufmerksamkeits- oder Gedächtnisstörungen.
Doch es gibt einen signifikanten Anteil an Patienten, der diese Störungen entwickelt. Allerdings würde ich davor warnen, zu sagen, Covid, Long- oder Post- Covid verursachen eine Demenz. Denn die Ausprägung ist eine andere. Demenz wird im allgemeinen Verständnis gern mit der Alzheimer Erkrankung gleichgesetzt, weil es die häufigste Demenzform ist. Demenz impliziert bei Angehörigen, Patienten und in der Gesellschaft häufig, dass diese Erkrankung nicht reversibel – also nicht mehr rückgängig zu machen – ist. Das ist bei Covid, was wir vermuten und hoffen, nicht der Fall. Es gibt zwar einen gewissen Overlap und insofern gemeinsame Eigenschaften von einer Demenz und Post-Covid, als das beide mit Gedächtnisstörungen einhergehen können. Diese sind jedoch qualitativ unterschiedlich.
Doch es gibt einen signifikanten Anteil an Patienten, der diese Störungen entwickelt. Allerdings würde ich davor warnen, zu sagen, Covid, Long- oder Post- Covid verursachen eine Demenz. Denn die Ausprägung ist eine andere. Demenz wird im allgemeinen Verständnis gern mit der Alzheimer Erkrankung gleichgesetzt, weil es die häufigste Demenzform ist. Demenz impliziert bei Angehörigen, Patienten und in der Gesellschaft häufig, dass diese Erkrankung nicht reversibel – also nicht mehr rückgängig zu machen – ist. Das ist bei Covid, was wir vermuten und hoffen, nicht der Fall. Es gibt zwar einen gewissen Overlap und insofern gemeinsame Eigenschaften von einer Demenz und Post-Covid, als das beide mit Gedächtnisstörungen einhergehen können. Diese sind jedoch qualitativ unterschiedlich.
Im Vortrag sind Sie auf Zusammenhänge zwischen der Spanischen Grippe, SARS, MERS und anderen neurodegenerativen Erkrankungen eingegangenen. Beispielsweise nahmen nach dem Ausbruch der Spanischen Grippe in den 1920er- und 1930er-Jahren Parkinsonerkrankungen, wie Demenz eine neurodegenerative Erkrankung, stark zu. Kann man zum jetzigen Zeitpunkt schon eine Aussage darüber treffen, ob die Demenzprävalenz sich durch Long-Covid verändern könnte?
Petzold: Man weiß seit Mitte 2020, dass es Long-Covid-Symptome gibt. Die Hoffnung war, dass die Patienten nach einigen Monaten, oder vielleicht nach ein bis zwei Jahren, wieder „normal“ werden, die Symptome also wieder zurückgehen. Inzwischen weiß man aus den größeren epidemiologischen Studien, dass das für einige Symptome zutrifft. Das Riech- oder Geschmacksverhalten kommen beispielsweise nach einigen Monaten häufig wieder. Doch erste Langzeitstudien, in denen wir Patienten über zwei Jahre hinweg beobachtet haben zeigen, dass kognitive Symptome, also Gedächtnisstörungen, häufig ein längerfristiges Problem sind. Viele Patienten berichten, dass gerade die Konzentration und das Gedächtnis nach zwei Jahren immer noch nicht so gut sind, wie vor der Infektion. Das gibt Hinweise darauf, dass die Anzahl von Patienten mit Gedächtnisstörungen in Verbindung mit Covid mittel- und langfristig auch in Deutschland deutlich zunehmen werden.
Häufen sich Gedächtnisstörungen als Symptom von Covid, Long- oder Post-Covid in bestimmten Altersgruppen besonderes?
Petzold: Hierzu fehlen noch konkrete Studien. Man weiß, dass Kinder und Jugendliche diese Symptome seltener entwickeln und auch generell weniger Long- und Post-Covid. Wenn bei Kindern und Jugendlichen Gedächtnisstörungen im Rahmen von Covid, Long- oder Post-Covid auftreten, gehen diese im Vergleich zu älteren Erwachsenen häufiger wieder zurück, sind also reversibel. Das ist eine positive Nachricht. Die negative Nachricht hinsichtlich der Gedächtnisstörungen ist, dass wir diese jetzt nach Covid insbesondere in der Gruppe der 30- bis 60-jährigen sehen. Was klassischerweise Demenzen, Gedächtnisstörungen, neurodegenerative Erkrankungen ausmacht, waren diese bisher Erkrankungen des höheren Lebensalters, etwa ab dem 70. Lebensjahr. Es zeigt sich nun eher ein jüngerer Altersgipfel als im Vergleich zu den klassischen Demenzformen.
Sie untersuchen mit Ihrem Team unter anderem Strukturänderungen, die in Gehirnen durch Covid entstehen. Sind Ähnlichkeiten zur Demenz festgestellt worden und mit dem, was Demenz im Gehirn verursacht?
Petzold: Es gibt verschiedene Veränderungen. Eine ist, dass es in einigen Regionen des Gehirns nach Covid zu einer Volumenlinderung oder zu einer Schrumpfung kommt. Bestimmte Gehirnareale werden nach Covid kleiner. Da gibt es eine gewisse Parallelität zu Alzheimer und anderen Demenzformen, auch dort findet ein Kleiner-Werden von Gehirnregionen statt. Aber diese Parallelität sollte man nicht überstrapazieren. Erstens wissen wir nicht, ob es nach Covid im Verlauf, vielleicht nach einigen Jahren, auch wieder zu einer Volumenzunahme kommen kann. Zum Beispiel, weil Medikamente gegeben werden oder der Spontanverlauf ein anderer ist. Da könnte ein Unterschied zu Alzheimer liegen. Denn bei Alzheimer sehen wir nicht, dass das im Verlauf besser wird, sondern eher im Gegenteil: Es wird immer schlechter. Wir wissen auch, dass die Volumenveränderung oder die Reduktion von Hirngewebe durch Covid in einigen Arealen viel geringer als bei Alzheimer ist. Bei Alzheimer und anderen Demenzformen redet man von 10 % bis 30 % Volumenabnahme. Für Covid sehen wir in vielen Studien eine viel geringere Abnahme: 1 % bis 2 %.
Eine Gemeinsamkeit ist allerdings, dass die Regionen häufig dieselben sind. Der Hippokampus, also ein Teil des Gehirns, der für Lernen und Gedächtnis verantwortlich ist, ist bei Alzheimer schwerpunktmäßig betroffen und fand sich jetzt bei einigen Personen mit Covid auch betroffen. Es gibt also Gemeinsamkeiten, aber man muss festhalten, dass die Ausprägungen bei Covid viel geringer sind. Außerdem kennen wir den Langzeitverlauf nicht.
Impfungen schützen produktiv vor Covid-Infektionen. Schützen sie gleichzeitig auch vor Long- oder Post-Covid?
Petzold: Da haben wir leider noch nicht genug Daten, um eine definitiv abschließende Antwort zu geben. Die Meinung geht ein bisschen hin und her. Aber die zwei, drei größten Studien, die sich das am besten angeguckt haben, deuten eigentlich alle darauf hin, dass die Impfung mit mRNA-Impfstoffen die Wahrscheinlichkeit, Symptome von Long- oder Post-COVID zu entwickeln, um ca. 20 % bis 30 % senken. Das ist keine Schwarz-Weiß- Nachricht in dem Sinne, dass man überhaupt kein Long- oder Post-COVID entwickelt. Aber die Wahrscheinlichkeit scheint niedriger zu sein.
Noch eine Frage direkt zu den Forschungen: Werden Menschen mit Demenz hier direkt mit einbezogen? Untersuchen Sie beispielsweise Menschen mit Demenz, die eine Covid-Infektion durchgemacht haben dahingehend, ob diese spezielle Symptomatiken entwickeln?
Petzold: Das gibt es, unter anderem auch hier am DZNE. Hier schaut man, ob sich der Zustand von Patienten mit Demenz oder anderen neurodegenerativen Erkrankung besonders unter oder nach Covid verschlechtert. Diese Untersuchungen sind jedoch ein wenig limitiert und schwierig durchzuführen, weil es keinen Biomarker für Long und Post-Covid gibt. Im Großen und Ganzen müssen wir uns bei der Diagnose von Long-Covid insbesondere auf Befragungen der Patienten verlassen. Wir fragen, ob sie Langzeit-Symptome haben, was bei Demenz- und generell Neurodegenerationspatienten, die älter sind und eventuell weniger gut reden und Auskunft geben können, sehr schwierig ist. Aber grundsätzlich gibt es einige Untersuchungen, die das untersuchen. Glücklicherweise sind gerade Patienten, die älter und neurodegenerativ erkrankt sind, erstens geschützt vor zu viel Exposition durch die Angehörigen und häufig auch gut geimpft, weil sowohl Hausärzte als auch Angehörige einen Blick darauf haben.
Wie viele Jahre sollten Langzeitstudien laufen, um fundierte Aussagen treffen zu können?
Petzold: Das geht jetzt langsam los. Wir gehen jetzt ins Jahr drei der Pandemie. Ich denke, dass man in den nächsten 12 bis 24 Monaten Langzeitaussagen machen kann, wobei man noch einschränkend sagen muss, dass viele Erkenntnisse, die ich gerade beschrieben habe, für die Delta-Variante zutreffen. Wir haben Patienten untersucht, die sich 2020 oder 2021 infiziert hatten. Wir wissen nicht, inwiefern sich die gleichen Veränderungen für Omikron zeigen. Aber für die Delta-Varianten wird es Langzeitergebnisse in den nächsten 12 Monaten geben.
Wir danken Ihnen für das Gespräch!
Raum für wissenschaftlichen Austausch - Die "Fachveranstaltung Covid - Virale Erkrankungen und Demenz"
Insgesamt vier Forscherinnen und Forscher stellten auf der Fachveranstaltung ihre wissenschaftlichen Ergebnisse vor. Alle Vortragenden waren sich einig: Langzeitstudien werden aussagekräftigere Daten liefern. Der weitere Austausch soll in den nächsten Jahren gefördert und intensiviert werden. Aktuell sei noch nicht belegbar, ob die Corona-Pandemie einen Anstieg der Demenz-Erkrankungen in den nächsten Jahren begünstigen könnte. Dabei kann ein Blick in die Vergangenheit Erkenntnisse für die Gegenwart bringen. So wurde auf die spanische Grippe verwiesen: Infolge dieser Epidemie nahmen in den 1920er- und 1930er-Jahren neurodegenerative Erkrankungen, wie die Parkinsonerkrankung, stark zu. Auch aus früheren Corona-Epidemien (SARS-CoV-1, MERS) gibt es bereits Berichte über Häufungen kognitiver Symptome.
Auswirkungen von Virusinfektionen auf Demenz
Dr. Marius Schwabenland vom Universitätsklinikum Freiburg untersucht zusammen mit seinem Team die Gehirne von an Covid-19 Verstorbenen aus den ersten Corona-Wellen. Der Fokus lag dabei auf sogenannten Mikrogliazellen, den Immunzellen im Zentralnervensystem (ZNS). Mit einer neu entwickelten Technik, die auffällige Zellverbände mehrdimensional sichtbar macht, konnten vermehrt Mikroglia-Ansammlungen (Knötchen) im Hirnstamm identifiziert werden. Dies deutet auf eingetretene pathologische Veränderungen im Gehirn hin.
Prof. Ina Vorberg vom DZNE stellte ebenfalls ihre Ergebnisse vor. Diese weisen darauf hin, dass virale Moleküle die Ausbreitung von Alzheimer-typischen Proteinaggregaten zwischen Zellen fördern und so neurodegenerative Erkrankungen beschleunigen könnten. Zu diesen viralen Molekülen gehören insbesondere auch die Spike-Proteine der Corona-Viren und reaktivierte endogene Retroviren, die abgeschaltet in den menschlichen Erbanlagen vorliegen. Antivirale Behandlungen oder Impfstoffe könnten hierauf einen Einfluss haben und den Ausbruch oder das Fortschreiten solcher Erkrankungen verhindern beziehungsweise verlangsamen.
Auswirkungen von Long Covid auf das Gehirn
Beide Referenten des zweiten Veranstaltungsteils betonten, dass es bisher keine einheitliche Definition des Long-Covid- oder Post-Covid-Syndroms gibt. Long- oder Post-Covid, wie sie landläufig genannt werden, bezeichnen beide dasselbe vielschichtige Krankheitsbild.
Prof. Ulrich Kalinke vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung ging in seinem Vortrag der Frage nach, ob und wie Viren bis ins Gehirn vordringen. Das Virus folgt demnach anatomischen Strukturen und dringt über die Atemwege und das Herz-Kreislauf-System ins Rückenmark vor und von dort weiter bis in das Gehirn. Dies kann direkte oder indirekte neurologische Veränderungen mit sich bringen und trifft sowohl Patientinnen mit milden als auch mit schweren (Long-)Covid-Verläufen.
Prof. Gabor Petzold vom DZNE ging auf neurologische und psychiatrische Symptome bei Long-Covid ein. Dazu gehören kognitive Symptome wie Aufmerksamkeitsstörungen oder Gedächtnisschwierigkeiten, die bei etwa 50% der Betroffenen auftreten. Passend dazu wurde in einer Studie, in die auch Patienten mit milden Verläufen eingeschlossen wurden, ein Abbau des Gewebes in Hirnregionen nachgewiesen, die für Gedächtnis und Kognition relevant sind. Die europäische NeuroCOV-Studie, die vom DZNE koordiniert wird, soll hier in den nächsten Jahren neue Erkenntnisse bringen.
Die inhaltliche Ausrichtung der Fachveranstaltung gestalteten das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und das DZNE. Beide engagieren sich in der Nationalen Demenzstrategie mit dem Ziel, die nationale und internationale Demenzforschung zu stärken. Eingangs betonte das BMBF die Wichtigkeit, Expertisen über Fachbereiche und Sektionen hinweg zu bündeln – durch internationale Vernetzung auch über die Grenzen der deutschen Forschungslandschaft hinaus.
Die Nationale Demenzstrategie wurde vor Ausbruch der Corona-Pandemie entwickelt. Allerdings beeinflusst die Pandemie auch die Forschung zu Demenz. Kognitive Einschränkungen gehören sowohl zum Krankheitsbild einer Demenz als auch zu den häufigen Symptomen einer Covid-Erkrankung. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellen sich deshalb die Frage nach möglichen Zusammenhängen und Wirkmechanismen. Neuere Studien weisen darauf hin, dass Covid-19 gehäuft mit kognitiven Einschränkungen einhergeht. Dies wiederum könnte möglicherweise die Entwicklung von neurodegenerativen Erkrankungen, wie z. B. auch Demenzen, begünstigen.
Einen Einstieg in das Thema liefert auch das Themenpapier Demenzrisiko bei SARS-CoV-2.